Händels Deborah in Göttingen

Nicholas McGegan

(c) Dario Dacosta/Internationale Göttinger Händel-Festspiele

Nicht die Biene, das bedeutet der hebräische Name Debora nämlich, sondern Jaël (was übersetzt Steinbock bedeutet) wird letztendlich zustechen, indem sie dem kaananitischen Feldherrn Sisera, der Zuflucht in ihrem Haus gefunden hat, mit dem Schmiedehammer einen Zeltpflock durch die Schläfe treibt. Es ist eine Erzählung aus dem Buch der Richter, die historisch rund 3.000 Jahre zurückliegt. Damals hatten die Israeliten nach der Wanderung aus der ägyptischen Sklaverei nach Kanaan dort Land genommen. Regiert wurden sie in dieser Zeit noch nicht von einem König, sondern von Richtern, die nicht nur juristisch tätig waren, sondern auch als politisch-militärische Stammesführer. Debora war davon neben Josua die wichtigste Vertreterin, denn sie eroberte mit den Stämmen das einflussreiche Hazor, die nördlich des See Genezareth gelegene Hauptstadt Kanaans, wo man nicht Jahwe, sondern Baal verehrte. Üblich waren Frauen in solchen Führungsrollen damals keineswegs und sie bleibt im gesamten Buch der Richter die einzige Frau, die das Amt ausübt.

Sie regiert ihr Volk als es durch König Jabin beherrscht wurden, dem König von Kanaan, der es zwanzig Jahre lang unterdrückte. Eine sehr wichtige Frauengestalt in der palästinensischen Antike, die neben der Rechtsprechung und der Führung ihres Volks auch über die Gabe der Prophetie verfügte und als Prophetin verehrt wurde.

Es sei der Auftrag Gottes, übermittelte sie dem Feldherrn Barak, dass dieser mit sechs der israelischen Stämme gegen Jabin und dessen Feldherrn Sisera in den Kampf ziehe. Quasi ein Kampf wie David gegen Goliath, denn Sisera verfügte über 900 eiserne Wagen, während die Israeliten waffenmäßig nichts entgegenzusetzen hatten. Sisera empfand deshalb den angesagten Kampf als anmaßende Provokation und reagierte bei einem Gespräch herablassend auf Barak und Deborah und forderte deren Unterwerfung. Es kam zu Schlacht, die in der Bibel nur kurz als himmlischer Gottesschrecken beschrieben wird, zum Tod vieler kananitischer Soldaten und zur Flucht Siseras führen sollte. Unterschlupf fand dieser ausgerechnet im Haus der Jaël mit dem bereits eingangs beschriebenen Ergebnisses. Dies festigte den Sieg der Israeliten und ihre Regentschaft des Lands Kanaan, in dem Milch und Honig fließen.

Sherazade Panthaki

(c) David Fung/Internationale Göttinger Händel-Festspiele

Biblische Themen waren in der Musik um 1700 sehr beliebt und wurden von den Komponisten gerne als Thema gewählt. Für Händel war das Oratorium nach der starken Frau aus dem Buch der Richter eigentlich nur eine Notlösung, denn der einst erfolgreiche Opernunternehmer musste eine Lösung finden, das schwindende Interesse der Londoner Society an der italienischen Oper, die wohl auch an der Sprache lag, wiederzugewinnen. Einige Vertreter des Adels mobbten ihn und gründeten eine konkurrierende Operngesellschaft, darunter Frederick, Prince of Wales, der Sohn Königs Georgs II. Da das von Händel angemietetes Kings Theater am Haymarket sonst vor dem Ruin stand hätte, nahm Händel, der einige Jahre zuvor die englische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, Oratorien auf den Spielplan. Zuvor waren frühere Arbeiten ohne seine Zustimmung von einer anderen Kompanie mit Erfolg aufgeführt worden. Dieses Geschäft wollte sich der geschäftstüchtige Händel nicht entgehen lassen, arbeitete, wie so oft, einige seiner alten Werke neu auf und brachte die "Deborah" als zweiten englischen Beitrag dieser Gattung heraus. Strahlende Trompeten und Hörner, doppelte Holzbläserbesetzung und eine wuchtige Begleitung aus zwei Cembali und zwei Orgeln musste er zuvor rekrutieren. Mit Erfolg, den die mitreißenden Chöre, die von ihm gewählte Dramatik in der Handlung und die glaubhaften Charaktere begeisterten die Londoner.

Zudem konnte er in dem Theater auf die besten Sänger und Sängerinnen seiner Zeit zugreifen.

Im Vorfeld der Göttinger Händel-Festspiele brachte die NDR Radiophilharmonie im April unter Nicholas McGegan das beeindruckende Werk als Präludium in der Göttinger Johanniskirche zur Aufführung. Der Stoff ist heute wohl nicht mehr so gut bekannt wie zu Händels Zeit, als das Publikum die spannende und recht übersichtlich erzählte Geschichte in ihrer Muttersprache verfolgen konnte. Auch wenn heute Englisch eine Lingua Franca ist, nutzen viele Besucher das Programmheft, das neben dem englischen Original auch die zeitgenössische deutsche Übersetzung bietet. Heerführer und Priester treten schon vor der großen Schlacht gegeneinander an und die Streitgesänge sind kaum weniger kämpferisch als die anschließende Schlacht. Vor allem der Chor hat dabei seinen großen Auftritt. Im Zentrum steht aber die Protagonistin, die Richterin Deborah, die den Sieg ihres Volkes vorhersieht. Verkörpert wird sie von der indischstämmigen Sopranistin Sherazade Panthaki, die schon 2019 mit ihrer trompetenhaften Strahlkraft der Delilah im Samson ihre Stimme gab und das Publikum faszinierte.

Nicolas McGegan erwies sich bei seinem Auftritt schon beim Erscheinen als ein gerngesehener Gast, denn der britische Experte für frühe Musik ist vielen älteren Besuchern schon aus seiner 20jährigen Zeit als Leiter der Internationalen Göttinger Händel-Festspiele bekannt und kehrt nach vorherigen Besuchen mit den NDR-Radiophilharmonie, mit denen er erst "Samson" und später "Acis und Galatea" einstudiert hatte, nach Göttingen zurück.

Beeindruckend waren die SolistInnen, die er mitgebracht hatte, wie die US-Amerikanerin Amanda Forsythe als Jaël und der das Publikum begeisternde britische Countertenor Hugh Cutting, der in seiner jungen Karriere nach dem Studienabschluss die Tagore-Goldmedaille von König Karl III. überreicht bekam, als erster Countertenor den Kathleen Ferrier Award gewann und ebenfalls als erster Countertenor zum BBC New Generation Artist ernannt wurde. Wir werden in Zukunft sicherlich noch einiges von ihn zu hören bekommen. Auch die Mezzosopranistin Franziska Gottwald zeigte sich in der Rolle des Heerführers Sisera überzeugend im Wechselspiel mit ihrer Kontrahentin Panthaki den erforderlichen Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt. Eine Sternstunde in der bis auf den letzten Platz ausverkauften St. Johannis-Kirche.

© Michael Ritter

(c) Magazin Frankfurt, 2024